ESCORT SUITES

Eigentlich ist es jeden Abend dasselbe: Singend schwebe ich, getragen wie von Engelsflügeln, auf Falk zu, bis ich in seinen Armen lande und sich unsere Lippen zu einem sanften Kuss vereinigen. Unter dem Applaus des Publikums fällt der Vorhang und unsere Lippen trennen sich wieder. Eigentlich schade, ich könnte Falks Küsse stundenlang genießen, aber das Publikum wartet bereits auf unsere Vorhänge, es möchte uns mit seinem Abschlussapplaus geradezu überschütten und wieder einmal eine gelungene Vorstellung unseres Erfolgsmusicals feiern. Der Applaus war schon lange verklungen, die Lichter der Bühne erloschen, als ich, tief in meinen Gedanken versunken, auf meinem Nachhauseweg an Falks Garderobe vorbeikam. Er schien noch seine Stimmübungen zu machen, eigentlich wie jeden Abend nach der Show. Jedenfalls drangen aus seiner Umkleide eindeutige Töne, die darauf schließen ließen. Sagte er nicht einmal, dass seine Stimmübungen nach der Show für ihn das gleiche bedeuten wie das Auslaufen eines Fußballers nach dem Spiel? Dass es der Lockerung seiner Stimmbänder genauso dienlich ist, wie eben den Balltretern nach der Anstrengung des Spiels die Muskelentspannung in den durch die Beanspruchung in Mitleidenschaft gezogenen Körperpartien? . Es ist jedenfalls kein Geheimnis, dass Falk, ganz der Profi, meist das Theater als letzter verlässt. Lange nach den anderen Darstellern, und an manchen Tagen selbst nach dem Hausmeister. Und heute schien wieder so ein langer Tag für ihn zu sein. Die Lichter in den anderen Garderoben waren längst gelöscht und auch auf den Fluren brannte nur noch die Notbeleuchtung. Einfach ein sicheres Zeichen, dass sich außer uns niemand mehr im Theater aufhalten dürfte. War ich tatsächlich so lange mit meinen Gedanken beschäftigt, dass ich die Zeit vollkommen vergessen hatte? Ein Blick auf meine Uhr bestätigte meine Annahme, es war tatsächlich schon weit nach Mitternacht. Eigentlich hätte ich auch längst ins Bett gehört oder zumindest mit einem kleinen alkoholischen Absacker vor dem flimmernden Fernseher. Schließlich würde am Abend bereits wieder eine Vorstellung vor gewöhnlich ausverkauftem Haus stattfinden, für die ich fit und ausgeruht sein müsste. Eigentlich wollte ich nur noch schnell an Falks Garderobe vorbeigehen, bis mich die kühle Luft des Spätfrühlingsabends in ihre Arme schließt. Ich musste mich beeilen, schließlich würde die letzte U-Bahn bestimmt nicht auf mich warten. Aber irgend etwas schien es in diesem Augenblick zu geben, das mich bewegte, vor Falks Tür zumindest für einen Augenblick stehen zu bleiben. . Ich kannte Falks Stimme, die durch die Garderobentür drang, zur Genüge, schließlich singen wir einige der Lieder des Stücks gemeinsam und auch der Kuss am Ende der Aufführung gehört ab und zu mir, obwohl ich nur die Zweitbesetzung bin. Ein Augenblick, dem ich jedes Mal geradezu entgegenfiebere. Nicht selten kann ich in den Nächten vor unserer gemeinsamen Kussszene und nur schwer oder überhaupt nicht die für einen erholsamen Schlaf notwendige Ruhe finden. Aber heute kam mir Falks Stimme noch eindrucksvoller vor als sonst. Ihr Klang setzte meinen Körper so sehr unter Spannung, als würde er unter einem heftigen Fieber erzittern Ich weiß nicht mehr, wie lange es gedauert hatte, bis das kleine Teufelchen in meinem Kopf über das kleine Engelchen gesiegt hatte und meine Finger geradezu an den Türgriff führte um ihn entschlossen nach unten zu drücken..Ich glaubte, wie unter Trance zu handeln, nichts konnte mich davon abbringen, langsam die Tür zu Falks Garderobe zu öffnen.